Page 11 - Barnabas Leseprobe
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einleitung: vermächtnis der nazaräer
         Adressaten dieser Überlieferung wirft, wo es, wie auch in Joh.
         8,9, heißt: „Jeder einzelne der Juden …“. Gehen wir davon aus,
         daß die Episode im Vorhof des Tempels spielt, deren Zutritt
         Nichtjuden bei Todesstrafe verboten war, so wird klar, daß nur
         ein an Nichtjuden gerichteter Text wie der Papias-Kommentar
         die Juden explizit erwähnen würde, was aber nicht für das allein
         an jüdische Gläubige adressierte Hebräer-Evangelium gilt.
           Nun  gibt  es  eine  interessante  Gruppe  von  Handschriften
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         („Ferrar-Gruppe“  MSS  13,  69,  124,  346,  543,  788,  826,  828,
         983), welche die Perikope von der Sünderin statt im Johannes-
         Evangelium im Lukas-Evangelium haben. Wir gehen davon aus,
         daß sie dort im chronologischen Ablauf an der richtigen Stelle
         im Zusammenhang nämlich des letzten Besuches Jesu in Jerusa-
         lem steht. Dort heißt es:
           „Und am Tage pflegte er im Tempel zu lehren und in der
         Nacht hinauszugehen und zu übernachten auf dem Berge, wel-
         cher der Ölberg genannt wird. Und alles Volk zog frühmorgens
         zu  ihm  zum  Tempel,  daß  sie  ihn  hörten.“  Hier  folgt  in  den
         Handschriften der Ferrar-Gruppe die „Geschichte von der Sün-
         derin“ (Lk. 21,37 f.).
           Und nun der Anfang der Perikope, wie er heute in Joh. 8,1 f.
         steht: „Jesus ging zum Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich
         wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich
         und lehrte es.“ Wie man sieht, überlappen sich der Anfang der
         Perikope und Lk. 21,37 f.
           Das Barnabas-Evangelium (Kap. 201) hat die Perikope von
         der  Sünderin  an  derselben  Position  wie  die  Manuskripte  der
         Ferrar-Handschriften,  nämlich  am  Ende  von  Jesu  Verkündi-
         gung.  Das  heißt,  sein  Autor  kannte  ihre  richtige  Position  im

         6  Die Ferrar-Gruppe von Handschriften zeichnet sich durch archaische Son-
           derlesarten aus. Viele Handschriften der „f13“-Gruppe stammen aus Südi-
           talien, wo sich in schwer zugänglichen Gebieten ein von Rom unabhängiges
           Christentum unter orthodoxem Tarnmantel bis weit ins Mittelalter hinein
           behaupten konnte. In einigen Klöstern Kalabriens, die noch bis ins 10. Jhdt.
           hinein arianisch blieben, waren zahlreiche seltene Schriften wie z. B. die
           Clementinischen Homilien konserviert worden.

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